Der Thurm am See

Es saß ein edler König
Am hohen Uferrand,
Stets waren sein Blicke
Hinaus in's Meer gewandt.

Er saß beim Morgenschimmer,
Sah in die Fluth hinein,
Er saß beim Sternenschein,
Sein Aug' in Thränen immer.

Viel Schiffe kamen, gingen,
Ein jedes weilt' im Port,
Und immer blickt' der König
In's Meer vom selben Ort.

Schwarz waren seine Locken,
Als er sich hingesetzt,
Und silberweiße Flocken
Deckten die Scheitel jetzt.

Er hatte große Schätze,
Kleinode ohne Zahl;
Doch konnt' ihn nichts ergötzen,
Er sah sie nicht einmal.

Und ob auch alles eigen
Ihm und zu Willen war,
Es boten Land und Krone
Ihm keine Freuden dar.

Sein Leid war seine Liebe;
Es hatte ihre Treu'
Die Buhle ihm gebrochen;
Schnell schwoll sein Gram auf's neu. - -

Das Siechthum kann genesen,
Kraut gibt's für jeden Schmerz;
Das Einz'ge, das nie heilet,
Ist - ein gebrochnes Herz!

Die Zeit wischt von der Tafel
Der Seele Alles ab;
Ein Wort nur bleibt geschrieben,
Erinnernd, bis an's Grab.

Jedwedes Bild verschwindet,
Jedwedes Leid vergeht;
Nur Gram verrathner Liebe,
Wie ew'ges Erz, besteht. - -

Nun steht ein Thurm erbauet,
Wo einst der König saß:
Die Lüft' umwehn ihn schaurig,
Die Sterne leuchten blaß.

Ein klagendes Gewimmer
Tönt noch am selben Ort,
Als säß' auch jetzt er dort
Und jammerte noch immer!

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