An Leonoren, als Sie Sich Betrübte, daß Leute Ihres Geschlechts des Studierens Beraubt Wären

Begehre nicht, so viel zu horen;
Wer wenig weiß, der sundigt schlecht,
Der Umgang unsrer Weisheitslehren
Jst nicht vor ieden Kopf gerecht;
Die Wahrheit schadet viel Gemuthern,
Wie bloden Augen scharfes Licht;
Behilf dich mit geringern Gutern,
Zu diesem Schatze kommst du nicht.

Du kannst gleichwohl zufrieden leben,
Und einmal froh zu Grabe gehn,
Du brauchst, ach! glaube doch, nicht eben
Den hohen Leibnitz zu verstehn.
Du hast genung vor dein Geschlechte,
Nachdem dein lobenswerther Fleis
Die Wirthschaft und des Hochsten Rechte,
So wie des Umgangs Regeln weiß.

Verrichte nur dein Amt mit Freuden,
Mit Zuversicht auf Gottes Schutz;
Kommt ungefahr ein schweres Leiden:
So bieth ihm mit der Hoffnung Trutz.
Verliehre nie den wahren Glauben,
Er dient dir zur Gerechtigkeit,
Und wenn dich lose Mauler schrauben,
So siege mit Gelassenheit.

Ein klug und thatiges Erbarmen
Kann wider Sund und Fluch bestehn;
Laß, wenn du kannst, nicht einen Armen
Betrubt und hulfloß von dir gehn.
Vergieb, und habe mit den Schwachen
So viel, als mit dir selbst, Geduld,
Will Gluck und Wetter gar nicht lachen,
So sey dein Trost: ich bin nicht schuld.

Ergotze dich mit Hoffnungsblicken
An jenes Lebens Lust und Pracht.
Dort wird dich andre Schonheit schmucken,
Als die, so hier dich lieblich macht.
Dort wirst du nicht mehr Stuckwerk wissen,
Du wirst der Wunder Ursprung sehn,
Dort werd ich dich noch reiner kussen,
Als niemals unter uns geschehn.

So wird dein Wandel auf der Erden
Gott und der Welt gefallig seyn.
Was nie genug gelernt kann werden,
Das pragt man nie zu haufig ein;
Darum ermahnt dich meine Liebe:
Gedenke fleisig an den Tod,
Empfang ihn mit gelaßnem Triebe,
Und seufze dieß in letzter Noth:

Hier lieg ich, großer Gott, und schwitze
Das Wasser meines Unrechts aus,
Jch fuhle deines Eifers Hitze,
Sie kehrt den Leib in Asch und Graus.
Es plagen Satan und Gewissen.
Herr, geh nicht zornig ins Gericht!
Du thatest mir dein Wort zu wissen,
Jch glaubte; Mehr vermocht ich nicht.

Jch habe nach dem kleinen Maaße
Von Geist, Erfahrung und Verstand,
Den Weg der engen Himmelsstraße
So weit beschritten als erkannt.
Verdien ich keine Gnadenblicke;
So sieh doch, eh du mich verbannst,
Vorher auf Golgatha zurucke,
Und dann verstoß mich, wenn du kannst.
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